Die Werdenberger Nachtigallen und Johannes Heeb aus Sax: Zwei volksmusikalische Portraits.

Autor: Yannick Wey

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fas­sung des Artikels, der im Wer­den­berg­er Jahrbuch 2024 erschienen ist.

Die Volksmusik im Wer­den­berg ist tief in der Region ver­wurzelt. Johannes Heeb und die Wer­den­berg­er Nachti­gallen ste­hen exem­plar­isch für die Vielfalt und den Reich­tum dieser Tra­di­tion, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun­derts beson­ders lebendig war. Während die Nachti­gallen als gefeierte Kün­st­lerin­nen weit über die Region hin­aus Bekan­ntheit erlangten, ist das musikalis­che Schaf­fen von Heeb vor allem durch die sorgfältige Doku­men­ta­tion sein­er Kom­po­si­tio­nen über­liefert. Bei­de zeigen ein­drucksvoll, wie soziale und kul­turelle Prozesse die regionale Musik prä­gen, wobei Einzelper­so­n­en oder kleine Grup­pen oft entschei­dende Impulse setzen.

Die grösste Samm­lung von Quellen für die Volksmusi­knoten in der Schweiz, die Samm­lung Han­ny Chris­ten, bein­hal­tet auch einen Ein­trag zu ein­er Wer­den­berg­er Instru­men­tal­musik­for­ma­tion, rund um den Geiger Johannes Heeb. 

Über Johannes Heeb erfahren wir, dass er im Jahr 1878 geboren ist und Geige spielte. Ein Foto zeigt die Fam­i­lienkapelle der Heeb: Hans Heeb junior, Hack­brett, Johannes Heeb senior, Geige, und Andreas Heeb, Handorgel. 

In der zwölf­bändi­gen Aus­gabe der Han­ny-Chris­ten-Samm­lung ist zu lesen, dass sie in zwei Hefte die Musik­stücke notierte, die Heeb zu spie­len wusste. Das hier abge­bildete Stück wurde für die Gruppe offen­bar charak­ter­is­tisch und trägt deshalb den Titel «Der Heeb­walz­er». Solche Namen wur­den Instru­men­tal­stück­en, aber auch Jodelmelo­di­en oft dann ver­liehen, wenn sie im ganzen Dorf oder darüber hin­aus mit ein­er Per­son in Verbindung gebracht wur­den. Wer eine Melodie erfand und diese bei diversen Gele­gen­heit­en dar­bot, wurde gele­gentlich auf diese Art und Weise mit der eige­nen Musik identifiziert.

Wie in allen Musi­knoten in der Schweiz­er Volksmusik-Samm­lung wurde nur die Melodie notiert. Diese wurde, so dür­fen wir weit­er annehmen, von Johannes Heeb senior auf der Geige gespielt. 76 Stücke wie der «Heeb­walz­er» sind im ersten Band der Han­ny Chris­ten-Samm­lung aufgeschrieben. Die Stücke tra­gen die Titel der damals pop­ulären, aber auch bere­its alt­bekan­nten Tanz­musik: Mazur­ka, Walz­er, Schot­tisch, Pol­ka, Marsch, Galopp und Ländler. Zum Zeit­punkt der Aufze­ich­nung war Johannes Heeb bere­its 74 Jahre alt und hat dieses grosse Reper­toire ver­mut­lich in den vie­len Jahren sein­er Musikprax­is gän­zlich auswendig gel­ernt und gepflegt. 

Die «Wer­den­berg­er Nachti­gallen» wur­den bekan­nt für ihre Dar­bi­etun­gen von Mundartliedern und Jodlern, und ste­hen exem­plar­isch für eine musikalis­che Prax­is, die fest in der regionalen Kul­tur der Ostschweiz ver­ankert ist, sich jedoch auch über­re­gion­al einen Namen gemacht hat. Wiederum ver­danken wir es hier der Lieder­samm­lung von Han­ny Chris­ten, dass uns neben den Schallplat­te­nauf­nah­men auch authen­tis­che Auf­nah­men vor Ort und kurze Inter­views mit den Sän­gerin­nen über­liefert sind. Wie im Fall von Johannes Heeb erre­ichte die Musik­erin­nen das Inter­esse der Doku­men­ta­tion in ein­er späten Lebens- und Schaf­fen­sphase. Die 1961 genan­nten Mit­glieder der Wer­den­berg­er Nachti­gallen waren Frau Küng-Brud­er­er (73), Frau Degen-Vetsch (53) und Nina Zweifel-Beusch (81).

Die Wer­den­berg­er Nachti­gallen sind ein inter­es­santes Beispiel für die fliessenden Übergänge zwis­chen den charak­ter­is­tis­chen Merk­malen der Regio­nen in der Ostschweiz, in Vorarl­berg und Tirol und gle­ichzeit­ig sind sie Über­lieferin­nen der Wer­den­berg­er Lieder. Die Auf­nah­men sind heute in der Schweiz­erischen Nation­alphonothek dig­i­tal­isiert vorhan­den und kön­nen öffentlich ange­hört wer­den. Ent­deckt wur­den die Sän­gerin­nen von Lita Senn-Rohrer:

«Es ist ein Trachtenfest gewesen in Bern, und dann hat die Frau Doktor Senn eben diese Mädchen zusammengerufen, und dann haben wir dort gesungen. [...] Dort hat man uns den Namen gegeben, «Werdenberger Nachtigallen». 11 Jahre lang sind wir singen gegangen [...]»

Es fol­gte eine schwungvolle Kar­riere, die sich nicht auf die Volksmusik­szene und ihre Fes­tiv­itäten beschränk­te. Ein Höhep­unkt der Wer­den­berg­erin­nen bildete wohl der Auftritt bei der Schweiz­erischen Ausstel­lung für Fraue­nar­beit (SAF­FA) 1928 in Bern:

«In schlichtem, sehr kleidsamem Gewande sah man unter den Trachtenträgerinnen des Saffa-Umzuges ein Trüpplein Werdenbergerinnen marschieren, unter dem vielsagenden Namen «Werdenberger Nachtigallen» [...] Hervorragend stimmbegabt und von seltener Musikalität, ist es den vier jungen Frauen möglich, Volkslieder aus alter und neuerer Zeit so vorzutragen, dass dem Zuhörer das Herz warm wird.»

Konz­ertin­ser­ate der frühen 1930er Jahre zeigen, dass die Nachti­gallen nicht nur pop­ulär, son­dern auch für anspruchsvolle Auftritte wie mit dem Ton­halle-Orch­ester Zürich engagiert wur­den. Diese Verbindung von klas­sis­ch­er Musik und tra­di­tionellem, region­al geprägtem Jodeln entsprach dem dama­li­gen Trend, Volksmusik auf Konz­ert­büh­nen zu präsen­tieren. Im benach­barten Fürsten­tum Liecht­en­stein waren die Wer­den­berg­er Nachti­gallen bekan­nt. Das Liecht­en­stein­er Volks­blatt kün­det 1931 einen Auftritt der «best­bekan­nten» Nachti­gallen in Schaan an. Weit­er lesen wir, dass es «dieser Truppe beispiel­sweise gelang, in der Welt­stadt Genf kür­zlich 5000 Men­schen in höch­ste Begeis­terung zu wiegen». 

Die Lieder, die in der Schweiz­er Nation­alphonothek in Lugano auf­be­wahrt wer­den, lassen die Musik der Nachti­gallen wieder aufleben und Rückschlüsse auf den musikalis­chen Stil und Geschmack ihrer Zeit zu. Mundartlieder teils mit Jodel­re­frain wer­den mit sehr feinen, klaren Stim­men inter­pretiert. Auch Im Jodel zeigen sich Stileigen­schaften, die für ihre Zeit eigen sind und heute nicht mehr oft zu hören sind. Die Verbindun­gen zum angren­zen­den Vorarl­berg sind klar hör­bar. Gle­ichzeit­ig erklin­gen typ­is­che Eige­narten der Schweiz­er Jodel­tra­di­tion rund um den Säntis. 

Die Unter­suchung der musikalis­chen Tra­di­tio­nen in den Wer­den­berg­er Gemein­den, dargestellt durch die Beiträge von Johannes Heeb und den Wer­den­berg­er Nachti­gallen, legt die regionale Bedeu­tung und Prä­gung dieser Tra­di­tio­nen offen. Sie unter­stre­ichen die Eigen­heit­en und den kul­turellen Reich­tum inner­halb der regionalen Musik­szene, aber noch sind die musikalis­chen Tra­di­tio­nen in Wer­den­berg und umliegen­den Regio­nen wenig erforscht. Nicht zu unter­schätzen ist in diesem Zusam­men­hang die Bedeu­tung der Archivierung und Doku­men­ta­tion musikalis­ch­er Werke und Tra­di­tio­nen für das kul­turelle Gedächt­nis und die Iden­tität ein­er Region. 

Yan­nick Wey ist Musik­wis­senschaftler mit den Forschungss­chw­er­punk­ten alpine Volksmusik und Blas­musikgeschichte an der Hochschule Luzern und der Hochschule der Kün­ste Bern, und spielt Trompete, Alphorn und Büchel. Er ist Mit­glied im Vor­stand des Haus­es der Volksmusik, Altdorf.

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